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Vom Labor in die Praxis: Wie die Durchflusszytometrie die Wasserwirtschaft revolutioniert

Aktualisiert: 20. Aug.


Interview mit Thomas Egli

Die Durchflusszytometrie ist seit langem ein fester Bestandteil der medizinischen Forschung und Diagnostik, aber ihre revolutionären Auswirkungen auf die Wasserwirtschaft werden erst jetzt erkannt. Der emeritierte Professor Dr. Thomas Egli, Experte für Mikrobiologie und wissenschaftlicher Berater von bNovate, berichtet von seinem Weg und seinen Erkenntnissen darüber, wie diese Technologie die mikrobiologische Trinkwasseranalyse verändert.


Das Potenzial für Trinkwasseranwendungen entdecken


Die Reise von Prof. Egli mit der Durchflusszytometrie begann vor fast 20 Jahren. Seine Arbeit an der Eawag, dem Eidgenössischen Institut für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz, konzentrierte sich auf mikrobielle Aktivität, Wachstum und biologischen Abbau von Schadstoffen in nährstoffarmen Umgebungen. In den frühen 2000er Jahren, als er in einer OECD/WHO-Expertengruppe für mikrobiologische Wasseranalyse arbeitete, erkannte er das Potenzial der Durchflusszytometrie für Trinkwasseranwendungen.


"Damals gab es viel Enthusiasmus für molekulare Nachweismethoden, die ein breites und schnelles Pathogen-Screening auf Chips versprachen", erinnert sich Prof. Egli. "Auch die Durchflusszytometrie wurde als mögliche schnelle Methode in Betracht gezogen, galt aber als zu schwierig, teuer und unempfindlich. Durch Verbesserungen der Hard- und Software in den späten 1990er Jahren wurde es jedoch möglich, kleine mikrobielle Zellen mit handelsüblichen Durchflusszytometern nachzuweisen."


Die Geburtsstunde einer neuen Methodik


Im Jahr 2003 übernahm Prof. Egli die Leitung der Gruppe für Trinkwassermikrobiologie an der Eawag. Mit Unterstützung seines Direktors investierte er in das erste Durchflusszytometer, ein sperriges und kostspieliges Gerät, das sich als unschätzbar erwies. "Wir haben die Methoden zur Zählung der mikrobiellen Zellen und zur Bestimmung ihrer Stoffwechselaktivitäten im Trinkwasser angepasst", erklärt er. In Zusammenarbeit mit den Zürcher Wasserwerken testeten sie diese Methoden und wandten sie in der Praxis an, was zu einem tieferen Verständnis der mikrobiellen Abundanz und Aktivität in den verschiedenen Prozessen der Trinkwasserproduktion und -verteilung führte.


Für ihre Pionierarbeit wurden sie 2010 mit dem Mühlheimer Wasserpreis ausgezeichnet, weil sie die Durchflusszytometrie erfolgreich vom Labor in die Praxis überführten.


Dann trat bNovate auf den Plan


2011 trat Peter Ryser, Mitgründer von bNovate, an Prof. Egli heran, nachdem er von dessen Arbeit an der Eawag gehört hatte. Ein Jahr später entwickelten Ryser und Simon Kuenzi (der andere Mitgründer von bNovate) BactoSense, ein automatisiertes, tragbares Online-Durchflusszytometer für die Trinkwasserüberwachung. "Sie luden mich ein, als wissenschaftlicher Berater für Mikrobiologie bei ihnen einzusteigen, was den Beginn unserer langjährigen Zusammenarbeit markierte", sagt Prof. Egli.


Einfluss der Durchflusszytometrie auf die Wasserwirtschaft


Die Durchflusszytometrie befasst sich mit zwei entscheidenden Fragen in der mikrobiologischen Trinkwasseranalyse: der wahren mikrobiellen Abundanz und der analytischen Geschwindigkeit. Die etablierte kultivierungsabhängige Methode der heterotrophen Plattenzählung (HPC) unterschätzt die mikrobielle Präsenz notorisch um eine oder mehrere Grössenordnungen (ein Mangel, der seit 50 Jahren kritisiert wird). Die durchflusszytometrische Gesamtzellzählung (FCM-TCC), bei der fluoreszierende DNA-bindende Farbstoffe verwendet werden, um über 99 % der mikrobiellen Zellen nachzuweisen, liefert in 20 Minuten ein viel genaueres Bild als die HPC-Methode, die drei oder mehr Tage benötigt. "Die Durchflusszytometrie, insbesondere die Gesamtzellzählung (FCM-TCC), enthüllt die tatsächliche Anzahl mikrobieller Zellen und stellt damit die lange Zeit vorherrschende Meinung über praktisch steriles Trinkwasser in Frage", so Prof. Egli.


FCM-TCC setzt sich nun als Alternative zur traditionellen, etablierten HPC-Methode durch. Mit dem BactoSense-Gerät steht den Wasserfachleuten zudem erstmals eine Methode zur Verfügung, die eine kontinuierliche Online-Überwachung eines grundlegenden mikrobiologischen Parameters von der Quelle über die Produktion bis zum Wasserhahn ermöglicht.


Die Zukunft der mikrobiologischen Wasserüberwachung


Prof. Egli sieht eine grosse Zukunft für die Durchflusszytometrie in der Wasserwirtschaft. "Ich erwarte, dass FCM-TCC und die Membranintegritätszählung (ICC) zu Routinemethoden für die mikrobiologische Wasseranalyse werden", sagt er voraus. Er rechnet auch mit der Entwicklung zusätzlicher Aktivitätsparameter, die diese grundlegenden Methoden ergänzen und unsere Möglichkeiten zur Überwachung der Wasserqualität verbessern.


Prof. Egli unterstreicht das Potenzial einfacher Instrumente, die auf der zellulären Autofluoreszenz beruhen, für die Überwachung von Oberflächengewässern. "Mit steigenden Wassertemperaturen werden Stauseen und Seen, die als Rohwasser für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, anfälliger für die Verschmutzung durch Cyanobakterien und Algen", erklärt er.


Darüber hinaus sieht er erhebliche Fortschritte beim automatisierten Nachweis von Hygiene-Indikatororganismen und spezifischen Krankheitserregern durch enzymaktivitätsbasierte Methoden oder immunmagnetische Veredelung voraus. "Die Herausforderungen liegen darin, mehr Geschwindigkeit, bessere Spezifität und Empfindlichkeit zu erreichen", stellt er fest. Hier erwartet er, dass Offline-Verfahren bevorzugt werden und ist vorsichtig, was die Durchführbarkeit eines routinemässigen Online-Erregernachweises auf breiter Front angeht. "Ausnahmen könnten der Online-Nachweis von häufig vorkommenden Mikroben wie E. coli und Enterokokken in Oberflächen- und Rohwasser, P. aeruginosa in der Flaschenwasserindustrie oder Legionellen und Mykobakterien in Kühltürmen sein", fügt er hinzu. "Die Durchflusszytometrie, einschliesslich Geräten wie BactoSense, kann als eine von mehreren Methoden zur schnellen und wirtschaftlichen Quantifizierung von Zielorganismen eingesetzt werden", sagt er.


Flächendeckende Einführung und neue Standards


Prof. Egli ist zuversichtlich, dass sich die Durchflusszytometrie für die Überwachung der Wasserqualität durchsetzen wird. "Keine andere Methode kann so umfassende mikrobiologische Informationen zu so geringen Kosten liefern", sagt er. Er führt die erfolgreiche Einführung von FCM-TCC in der Schweiz als Vorbild an, und andere europäische Länder beginnen, diesem Beispiel zu folgen. In der Schweiz gibt es diese Unterstützung bereits durch den SVGW (bereits 2012 durch das Bundesamt für Gesundheit, jetzt auf der Methodenplattform des SVGW), Österreich und Deutschland. "Ich bin zuversichtlich, dass eine ISO-Standardmethode letztendlich etabliert werden wird, angetrieben durch den Druck von unten und die wachsende Anerkennung der Vorteile der Durchflusszytometrie."


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Durchflusszytometrie die Wasserindustrie revolutioniert, indem sie eine genaue und schnelle Analyse von mikrobiellen Zellen im Trinkwasser ermöglicht. Bei weiteren Fortschritten und breiterer Akzeptanz verspricht sie, der neue Standard in der mikrobiologischen Wasseranalyse zu werden.

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